Eine Reise durch die Nacht

Diese Kurzgeschichte habe ich für einen Landesschreibwettbewerb im Jahr 2016 verfasst. Heute habe ich sie wiedergefunden und sprachlich leicht überarbeitet. Die Message des Textes finde ich immernoch super – vielleicht entsteht eines Tages ein aktueller Text von mir mit derselben Message. Hier kommt der originale Text.

Wie schnell etwas so Großes vorbei sein kann. Eine Nacht, und….puff! Wir wollten Freiheit, wir wollten wir selbst sein dürfen um jeden Preis. Doch was erwarteten wir uns überhaupt?

Mein Ziel warst du.

Fr, 29.07.16, 17:59 Uhr

Wir mussten es einfach tun. Abhauen, meine ich. Einfach verschwinden, weg von allem. Es blieb keine andere Option. Um sechs Uhr abends klingelte mein Handy. Ich wusste schon von vorneherein, dass es Finn war.

„Hei. Bist du dann soweit?“

„Ich packe noch ein paar Sachen. Bin in fünf Minuten da.“

Das war jedenfalls das, was ich antwortete. Eigentlich war ich seit zwei Stunden schon fertig, ich wollte nur nicht, dass er wusste, wie lange ich schon auf dieses Ereignis hin fieberte, dass es zu wichtig für mich war oder so etwas.

Ich atmete einmal tief durch. Dann schnappte ich mir meine Sachen – Geldbeutel, Handy, ein bisschen Wäsche, das Allerwichtigste eben, alles verstaut in meinem alten Eastpak-Rucksack – und ging durchs Wohnzimmer zur Eingangstür.

„Ich geh noch kurz zu Finn“, rief ich meiner Mutter durchs Treppenhaus zu.

„Von mir aus. Aber komm nicht so spät zurück!“, dröhnte die Antwort wenige Sekunden später herunter.

Sie wusste nicht, wie spät ich wirklich zurückkommen würde.

18:05 Uhr

Meine Finger tappten immer wieder aufs Lenkrad. Statt einen Schulterblick auszuführen, zuckte mein Kopf nur ab und zu nach links oder rechts. Mein Fahrlehrer würde mich töten.

Ich bog nach rechts in einen Wiesenweg ein und stellte den alten, rostigen Smart meines Vaters ab. Noch nie zuvor hatte ich dieses Ding gefahren. Wie auch, ohne Führerschein. Dann ging ich querfeldein – direkt auf das Wäldchen zu, das an die Siedlung der Häuser der wohlhabenden Familien in unserem Städtchen angrenzte. Denn dort wohnte Finn.

Finn. Allein sein Name jagte mir einen Schauer über den Rücken. Wir kannten uns nun seit sechs Jahren, vier davon hatten wir uns gehasst. Und nun? Ich schmunzelte.

„Hee, was lächelst du denn so?“

Ich fuhr herum.                                                                                                                                                                

Da stand er vor mir, in dunklen Shorts und weißem T-Shirt, die goldblonden Haare wild zerzaust. Finn nahm mich am Ellenbogen und zog mich ins Gebüsch. Er umarmte mich kurz, aber fest.

„Hast du alles?“, fragte er und musterte meinen Rucksack.                                              

Ich nickte. Finn wollte schon losgehen, da unterbrach ich ihn.                                                      

„Ehm, warte kurz. Falls, ich meine, solltest du je ohne mich nach Hause zurückkommen, sagst du dann meiner Familie, dass ich sie liebe?“

Finn lachte kurz und herzlich auf.

„Du bist süß. Aber wir kommen nicht zurück, verstehst du? Wir hatten das doch abgemacht: Alles Alte eintauschen, für die Freiheit, für uns!“

Ich nickte verständnisvoll, war aber eigentlich eher verständnislos. Wie gerne hätte ich an diesem Punkt einfach alles beim Alten gelassen und vor Freunden und Familie meine wahren Gefühle offenbart. Aber wir wussten beide, dass das unmöglich war.                            

Schnellen Schrittes gingen wir zurück zum Smart.              

„Hm. Giftgrün“, schnaubte Finn und zog eine Sprühdose mit schwarzer Farbe hervor. Kurzerhand besprühte er das gesamte Auto mit der nebligen Sprühfarbe, während ich verdutzt daneben stand. Dann stellte er sich frontal vor das Auto und begutachtete sein Werk.

„So“, sagte er stolz. „Fährst du?“

Ich zog die Schlüssel hervor. Finn saß schon auf dem Beifahrersitz.

„Ganz schön eng hier“, meinte er. „Wie sollen wir denn hier schlafen?“

Schlafen. Ich hatte noch nie mit Finn in einem Raum übernachtet, geschweige denn in einem Auto. Das mag sich alles vielleicht nicht wirklich spektakulär anhören, aber sie verstört mich jetzt schon ziemlich, diese Freiheit. Zu Hause hätte ich mich nicht getraut, zuzugeben, dass ich mir so etwas vorstellen kann – auch wenn meine Familie sehr tolerant ist. Die Angst vor Verspottung weicht nie.

„Hab ich dich etwa schon vergrault?“ Finn lachte angesichts meines langen Zögerns. „Was ist, fahren wir?“

19:00 Uhr      

Meine Anspannung war mir definitiv anzumerken. Erstmals allein in einem fremden Wagen im Straßenverkehr, neben mir nur Finn, der jede Bewegung meines Körpers in sich aufzusaugen schien.

„Wohin fahren wir?“, fragte ich Finn, der mir Anweisungen bezüglich der Fahrtstrecke gab. “In die Stadt. Ich brauche noch…. etwas. Vorrat. Ich kenne da jemanden.“

Ich wusste schon länger, dass Finn Drogen nahm. Ehrlich gesagt störte es mich aber nie. Ich selbst konsumierte gerne und viel Alkohol – nur an Wochenenden natürlich. Wir beide zusammen, das ergab eine explosive Mischung, wie ein Mentos-Bonbon in einer Flasche Cola. An die meisten der verrückten Dinge, die wir schon gemeinsam gedreht haben, kann ich mich nicht einmal mehr erinnern – kein Wunder eigentlich.                                                     

Die meiste Zeit der Autofahrt verbrachten wir schweigend nebeneinander im Dämmerlicht. Rechts Finn, der mich ununterbrochen musterte, und links ich, der zwanghaft auf die Straße starrte, um nicht von Finns Augen abgelenkt zu werden.

20:00 Uhr

Bei Finns Bekannten (allesamt Nutten, übel riechend und unhöflich dazu) hatten wir eingekauft. Koks und etwas Ecstasy. Im Auto angekommen schnupfte Finn direkt eine Portion des weißen Pulvers. Von nun an war die Richtung nur noch zweitrangig. Bei lauter Rockmusik, die der komplett zugedröhnte Finn aufgelegt hatte, fuhren wir ein paar Landstraßen entlang, egal wohin, hauptsache weg. Weg von zu Hause.

„Weißt du, wer schuld ist?“

Nach der langen Zeit des Schweigens zuckte ich bei Finns Worten über die laute Musik geradezu zusammen. Ich wusste genau, dass er unter dem Einfluss von Drogen stand. Trotzdem waren seine Worte auf irgendeine Weise ernst zu nehmen – ich folgte seinen Anweisungen und hielt schon bald inmitten eines kleinen Ortes. Finn zeigt auf die Kirche, die sich vor uns erhob, und rief:

„Weißt du, woran DIE schuld sind? An allem! An allem was wir hier tun!“

Finns Familie war sehr religiös und in der Gemeinde hoch angesehen. Sie bemerkten schon früh, dass mit Finn wohl etwas nicht stimmte. Doch erst mit mir bekamen sie Gewissheit, und meldeten Finn fürs nächste Schuljahr auf einem katholischen Internat an.

Finn holte eine Flasche Wodka aus dem Auto und ließ sie an der Fassade der Kirche zerschellen. Ich stand nur schweigend und ziemlich fassungslos daneben, während er mit diversen anderen Gegenständen weitermachte: Eier, Tomaten, Kristallgläser – alles holte er aus seinem Stoffbeutel, den er bei der Abfahrt klirrend in den Kofferraum hatte fallen lassen.

Vielleicht waren es Sekunden, vielleicht Minuten, vielleicht auch Stunden die es dauerte, bis die Polizei uns erreichte. Kaum hörten wir die Sirene, rannten wir mitsamt unseren Rucksäcken davon. Finn wankte bei beinahe jedem zweiten Schritt, er hatte mittlerweile nicht nur Koks, sondern auch Wodka intus.

Meine Lunge brannte. Ich bin nicht der Typ Mensch, der viel Sport macht. Finn hingegen schon. Er schien mich mühelos abzuhängen, was mich angesichts seines vorherigen Drogenkonsums ziemlich verblüffte.

Die Polizisten waren uns nicht gefolgt. Wahrscheinlich war der Schaden an der Kirchenfassade nicht groß genug. Wir liefen also noch eine weitere Straße entlang und bogen dann in einen dunklen Hof ein.

„Scheiße Mann, das Auto!“, japste ich.

„Vergiss das verdammte Auto“, lallte Finn.

Ich tat es einfach, ohne weitere Fragen. Irgendwie weiß ich nicht einmal, wieso. Vielleicht wollte ich einfach nur seiner Meinung sein. Vielleicht war mir das Auto auch einfach egal.

„Weißt du, man sagt, wenn man einmal von der Polizei erwischt wurde, ist man ein richtiger Kerl.“, stellte Finn fest.

Sagte man das? Naja, Hauptsache, sie waren nicht mehr hinter uns her. Ich hatte keine Ahnung wo wir uns befanden, geschweige denn, was wir als nächstes tun sollten. Ich schob meine Gedanken beiseite und ging dazu über, meine Umgebung genauer zu betrachten.

Wir standen vor einem großen Bauernhaus. Links war ein kleines Gärtchen mit komplett zugewucherten Beeten, rechts befand sich eine große Scheune.                                          

Finn schien dasselbe zu denken wie ich, und wir gingen zum Tor. Die Scharniere waren verrostet und das Schloss ließ sich leicht öffnen. Dahinter stand ein Traktor. Winzig, klein, kaum Platz für zwei Personen, aber immerhin besaß er eine Fahrerkabine. Der Schlüssel steckte. Ich drehte mich zu Finn um, der mich mit einem breiten Grinsen anschaute.

Wenige Minuten später tuckerten wir mit einem alten, quietschenden Lanz einen holprigen Feldweg entlang.   

22:00 Uhr

Ehrlich gesagt hatte mich die ganze Sache mit der Polizei schon ein bisschen eingeschüchtert. Und jetzt hatten wir auch noch einen Traktor gestohlen! Ich war mir irgendwie nicht mehr so sicher, ob das Alles das Richtige für mich war. Vielleicht sogar, ob er der Richtige für mich war. Doch diesen Gedanken ignorierte ich sofort. Wir fuhren kreuz und quer einfach irgendwelche Wege entlang. Der Lanz machte furchtbare Geräusche. Ich wusste nicht, wie lange der Sprit noch reichen würde. An jeder Kreuzung orientierte ich mich anhand der untergehenden Sonne. Unser Zuhause lag gen Süden, wir fuhren also gen Norden.

Wir unterhielten uns kaum, und wenn, dann nur über unwichtige Dinge. Finn hielt mich dazu an, unseren alten Wohnort nicht als „Zuhause“ zu bezeichnen. Ich versuchte wirklich, mich daran zu halten, aber in meinen Gedanken wollte es sich einfach nicht durchsetzen.

„Hast du eigentlich keinen Hunger?“, fragte Finn, als die Sonne nun fast am tiefsten Punkt angekommen war. Ich schaltete die Scheinwerfer ein. Ziemlich einfach zu bedienen, so ein Lanz.

„Doch schon“, antwortete ich. „Ich habe Geld.“

Finn reagierte nicht auf meinen letzten Satz.                                                                  

Vor uns lag ein Industriegebiet. Ich stellte den Traktor etwas abseits hinter einem Dickicht ab. In dem Industriegebiet gab es, natürlich, eine McDonald´s-Filiale. Mir war klar, dass das unser heutiges Speiselokal sein würde, denn Finn liebte Burger. Wir gingen zum Parkplatz des Restaurants.

„So. Du wartest hier. Und wenn ich in zwei Minuten wiederkomme, dann rennst du um dein Leben, kapiert?“, bläute Finn mir eindringlich ein.

Augenblicklich kochte Wut in mir hoch.

„Spinnst du???“, fuhr ich ihn an. „Ich habe Geld!“

„Liam.“                                                                                                                                          

Er blickte mir fest in die Augen.                                                                                               

„Ich liebe dich. Ich tu das nur für dich. Aber wir sind jetzt frei, wir können tun und lassen was wir wollen, aber wir müssen jetzt für uns allein sorgen. Und deshalb müssen wir unser Geld sparen.“

Heute Nachmittag hätten mich seine Worte noch vollkommen überzeugt. Jetzt, nach den Ereignissen der letzten Stunden, konnten sie mich jedoch nur schwer besänftigen.

„Gut. Ich will drei Cheeseburger. Vermassel es nicht“, antwortete ich, immer noch patzig.

Finn lächelte mich noch einmal kurz an und ging dann schnurstracks auf die Eingangstür des Burgerladens zu. Ich war durch und durch verunsichert. Sollte ich davonrennen? Ich hatte Angst, verdammte Angst. Irgendetwas in mir zog sich zusammen. Wahrscheinlich war es mein Magen, auf jeden Fall wurde mir plötzlich kotzübel.

Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging, bis ich plötzlich wieder Finns Umrisse an der McDonald´s-Tür erkennen konnte. Er rannte auf mich zu, seinen Pullover übers Gesicht gezogen. Ich machte auf dem Absatz kehrt und rannte. Da hörte ich einen Schuss: Sicherheitsbeamte. Ich gab nur noch mehr Fersengeld. Diesmal war ich schneller als Finn. Ich kam beim Traktor an und hielt Finn die Tür auf. Keuchend sprang er herein. So schnell wie es der Lanz hergab fuhren wir davon, was eine Geschwindigkeit von etwa 30 km/h auf gerader Strecke bedeutete.

Nach ein paar Minuten schaltete ich das Licht wieder an. Meine Angst war wieder der Wut gewichen. Auf Finn, auf mich selbst, auf die gesamte Situation. Meine Muskeln zitterten. Wenn ich bremsen musste, was auf dem dunklen Feldweg nicht gerade oft vorkam, dann bremste ich ruckelig und unsere Sachen flogen durch die Kabine.

„Pass auf Mann, wir können uns keinen Unfall erlauben!“, fuhr Finn mich an, während er auf einem der pappigen Brötchen seines Cheeseburgers herumkaute. Es verletzte mich, dass er so mit mir sprach. Alles zwischen uns war immer harmonisch, friedlich gewesen – liebevoll. Heute Abend hingegen schienen wir einen Konflikt nach dem anderen auszutragen. Allein diese Tatsache machte mich unsicher.

Ich drehte meinen Kopf und musterte Finn von der Seite, nur so als Test. Früher hatte ich immer sofort Schmetterlinge im Bauch wenn ich ihn so ansah. Jetzt regte sich irgendwie nichts – kein Flattern in meinem Körper, so leicht wie die seidigen Flügel eines Falters, stattdessen nur eine seltsame Schwere.

Nein. Ich wollte nicht so denken. Ich liebte Finn doch. Ich tat das wirklich.

23:00 Uhr

„Scheiße!“

Ich erschrak vor meinem eigenen Schrei. Finn war eingenickt und murmelte immer wieder seltsame Dinge vor sich hin – wahrscheinlich die Drogen. Jetzt schreckte er jedoch hoch.

„Hoffentlich hast du einen guten Grund mich aufzuwecken“, meinte er mürrisch.

Ich zeigte stumm auf die Sprit-Anzeige des Traktors. Der Zeiger befand sich schon im roten Bereich. Aber das war eigentlich gar nicht das Problem, denn ungefähr 500m vor uns befand sich ein Dorf, und direkt am Ortseingang eine Tankstelle. Das wirkliche Problem war ein anderes.

„Ich hab bei der Flucht vorhin meinen Rucksack verloren, da war mein Geldbeutel drin!“, sagte ich entsetzt. Ausweis, Handy, Geld, alles weg. Ich verfluchte mich selbst. Höchstwahrscheinlich hatten die Sicherheitsbeamten die Sachen gefunden und schon längst meine Eltern informiert.

„Fuck, du Arsch, wegen dir kommen wir in den Knast!“, schrie Finn mich an, jetzt plötzlich hellwach und scheinbar nüchtern. Er sprang aus der Kabine und lief zeternd um unseren Lanz.

„Du kleiner dummer Wichser, was sollen wir denn jetzt machen? Ich hab dir doch gesagt dass wir das Geld noch brauchen!“, rief Finn.

Entsetzt starrte ich ihn an. Wie konnte er es wagen mich so zu behandeln? Wer war es denn, der Sachbeschädigung begangen und einen McDonald´s ausgeraubt hatte? Wer war denn Schuld an dem ganzen Schlamassel? Ich traute mich nicht mein, eigentlich ziemlich berechtigtes, Argument anzubringen, denn ich wollte Finn nicht noch mehr verärgern. Stattdessen starrte ich nur dumm und stumm auf den Boden. Typisch ich, Liam, die kleine Duckmaus.

Irgendetwas in meinem Inneren sagte mir, dass wir gescheitert waren. Gescheitert im Abhauen, gescheitert in unserer Beziehung. Ich gab mir selbst das Gefühl, mal wieder alles vermasselt zu haben.

Finn war dabei wohl auch meiner Meinung. Jedoch nur in diesem einen Punkt. Er kam auf mich zu und zog mich am Arm vom Fahrersitz.

„Wir können die Tankstelle da vorne ja schlecht überfallen, jetzt wo die Bullen schon deinen Namen auf ihrer Liste haben“, erklärte er mir, bemüht, Ruhe zu bewahren.

„Aber ich erwarte, dass du wieder geradebiegst, was du da angerichtet hast.“

Gerade biegen. Was ICH angerichtet habe. Ein Teil von mir wollte Finn Recht geben, der andere Teil sträubte sich aber regelrecht dagegen und wollte ihm einfach nur eine reinhauen. Ich befand mich hier auf einem komplett undurchdachten Roadtrip, mit meinem kriminellen, drogenabhängigen Freund – die gesamte Tatsache machte mich wütend und verzweifelt.

„Und was soll ich tun?“, fragte ich Finn aggressiv.

Ich spürte wie mir das Blut in den Kopf schoss.

„Wir haben nur eine Möglichkeit, schnell an Geld zu kommen.“

Finn zog sein Handy hervor und stöberte in den Kontakten nach ein paar Nummern. Er zeigte auf die Namen Karl, Uwe und Peter.

„Das sind drei ziemlich reiche Typen, die mögen Jungs wie dich“, sagte Finn mit einem verschwörerischen Lächeln.

Aus meiner Wut wurde plötzlich wieder Angst. Mir wurde augenblicklich kalt und meine Knie fühlten sich an wie Gummi.

„Ich soll doch nicht wirklich…?“, fragte ich mit zittriger Stimme.

„Altes Weichei! Stell´ dich nicht so an. Du musst eben auch mal anschaffen gehen. Und das wird dir gefallen!“

Finn berührte zärtlich meine Wange, doch ich wandte mich verletzt ab.

„Sei jetzt nicht beleidigt, setz´ dich auf den Traktor und fahr rüber zu der Tankstelle. Ich muss noch schnell telefonieren, dann holt dich einer von denen ab.“

Ich hatte keine Ahnung wie ich reagieren sollte, also ging ich mit hängenden Schultern zurück in die Kabine des Lanz. Als ich wieder am Lenkrad saß, schien die Zeit für einen Moment stehen zu bleiben, als wollte mir das Leben einen Moment zum Nachdenken verschaffen. Ich im Lanz, Finn ein paar Meter vor mir auf der dunklen Feldstraße, das Handy am Ohr.

In meinem Kopf schwirrten die Gedanken wild durcheinander wie ein Schwarm Hornissen. In meinem Bauch vermengten sich die unterschiedlichsten Gefühle zu einem dunklen Ball, eine explosive Mischung.

Angst – vor dem was vor mir lag, der Begegnung mit einem fremden Mann, vor dem Gefühl, ausgenutzt zu werden für Geld.

Wut – auf Finn, weil er alle Schuld auf mich schob und so egoistisch war, obwohl er selbst so falsche Dinge getan hatte. Weil er von mir erwartete, dass ich mich verkaufe. Und auf mich selbst, weil ich zu feige war, ihm meine Meinung zu sagen, und weil ich es wieder einmal schaffte, mir selbst die Schuld an allem zu geben, was alles nur noch komplizierter machte.

Enttäuschung – weil unsere Reise so anders war , als ich sie mir vorgestellt hatte.

Trauer – weil ich Finn anscheinend so wenig wert war, dass es ihm nichts ausmachte, meine Unschuld an einen Fremden zu verkaufen, was mir mein Herz brach.

Und Selbsthass – weil ich mich zuvor von Finn blenden ließ, mich in etwas verliebt hattee, das er nicht war, und nicht sein wahres Gesicht sehen konnte.

Vor meinen Augen verschwamm alles zu einem undurchsichtigen Brei.

Ohne weiter nachzudenken trat ich aufs Gas.

Egal, wer vor mir auf der Straße stand.

Sa, 30.07.16, 5:00 Uhr

Wie schnell etwas so Großes vorbei sein kann. Eine Nacht, und….puff! Ich hätte es wissen müssen. Unser Vorhaben war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Doch wer hätte wissen sollen, dass es auf diese Weise enden würde?

Ich liege im vom Tau nassen Gras. Die aufgehende Sonne reflektiert in den Tautropfen.  Meine Klamotten sind kalt und durchnässt. Neben mir liegst du, dein Körper blutüberströmt. Deine Augen starren leblos in den blauen Sommerhimmel. Ich halte deine kalte, schlaffe Hand.

Ob ich mir die Schuld gebe? Ist das nicht gleichgültig? Was passiert ist, ist passiert. Ich kann es jetzt nicht mehr ändern. Ich kann nur davon erzählen, wie schön es war – und wie schrecklich. Ich kann davon erzählen, wie sehr Gefühle Menschen blenden können, und sie über so viel hinwegsehen lassen. Denn am Anfang stand nur das eine:

Wir wollten Freiheit, wir wollten wir selbst sein dürfen um jeden Preis. Doch was erwarteten wir uns überhaupt? Mein Ziel warst du – was du erwartetest, weiß ich nicht, und eigentlich ist es jetzt auch egal. Denn jetzt bin da nur noch ich, ich und dein Körper, dein Körper mit den eisblauen, klaren Augen. Die Augen des Jungen, den ich einst liebte.                                     

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